Freewriting

Es gibt verschiedene Übersetzungen des Begriffes „Freewriting“: Freies Schreiben, frei schreiben, sich frei schreiben … Meistens bleibt es beim „Freewriting“, zum Beispiel wenn in Schreibgruppen die Aufforderung erfolgt: „Jetzt mal zehn Minuten Freewriting“.

Wer hat es eigentlich erfunden? Wie bei vielen Übungen im kreativen Schreiben ist das schwer zurückzuverfolgen. Auf viele Schreibkniffe kommen Schreibende ja auch von selbst. Wer viel schreibt und experimentierfreudig ist, kommt schon mal auf die Idee einfach loszuschreiben ohne Punkt und Komma. Außerdem wird zum Beispiel in Tagebüchern oft auf freies Schreiben zurückgegriffen.

Der Begriff „Freewriting“ wird bei Peter Elbow (siehe Literaturangabe unten) genauer untersucht. Er hat als Erster ein Buch darüber geschrieben wie Freewriting dabei helfen kann, Schreibblockaden zu überwinden. Zu verorten ist Elbows Ansatz in der humanistischen Psychotherapie nach Carl Rogers. Deren positive Sicht sieht den Menschen als gut und entwicklungsfähig an. Das Streben nach Selbstverwirklichung ist ihm eigen, deswegen muss man ihn nicht erziehen oder manipulieren. Wenn man günstige Bedingungen schafft, dann entwickelt er sich aus eigenem Antrieb. Folgerichtig heißt Peter Elbows Buch auch „Writing Without Teachers“ das heißt „Schreiben ohne Lehrer“. (Meine Übersetzung. Leider wurde das Buch nie ins Deutsche übersetzt). Eine Idee, die mir vorher gar nicht bewusst war: Ein Lehrer braucht Schüler, um Lehrer sein zu können. Aber ein Schüler braucht keinen Lehrer, um zu lernen…

Der Ansatz von Peter Elbow war es, Studierende zu befähigen, auf ihre eigenen Schreibfähigkeiten zu vertrauen. Dazu gehört es, sich nicht schon zu früh mit dem Editieren, Gliedern, Überarbeiten des Textes zu beschäftigen, sondern einfach unzensiert und frei zu schreiben. Wichtig ist, regelmäßig zu schreiben, was leichter fällt, wenn man „irgendetwas“ schreiben darf, das noch keinen Sinn ergeben muss. Diese Methode ist für alle Arten des Schreibens geeignet. Beim wissenschaftlichen Schreiben fand ich den Ansatz von Elbow interessant, auch das Suchen nach Bestätigung für eine Hypothese zu fördern. Er nennt die zwei Prozesse „doubting“ und „believing“ und schlägt vor, auch die Seite, die eine Hypothese für begründet hält, nicht zugunsten der kritischen Sichtweise, die im universitären Bereich für unabdingbar gehalten wird, aufzugeben.

Als therapeutische Sichtweise sind seine Metaphern „growing“ and „cooking“ zu sehen. „Growing“ bedeutet für ihn, dass man dem eigenen Text und den Wörtern ein Potential zurechnen darf, das im Laufe des Schreibprozesses sichtbar wird. „Cooking“ sieht das Schreiben als Prozess, der verschiedene Ebenen miteinander in Einklang bringt: Wörter, Ideen, Eintauchen in die Sprache und Einnehmen einer Perspektive.

Genau wie es viele Schreibende gibt, die Freewriting immer schon praktiziert haben, ohne jemals von Peter Elbows Buch gehört zu haben, versteht jeder unter Freewriting das, was er darunter versteht. So kann sich Freewriting auf ein bestimmtes Thema fokussierten (fokussiertes Freewriting), was allerdings für andere – zu denen ich gehöre – schon wieder viel zu viel Festlegung ist.

Und was unterscheidet „automatisches Schreiben“ vom „Freewriting“?
Automatisches Schreiben war ja angelehnt an psychoanalytische Vorstellungen (manchmal auch an esoterische Vorstellungen) als Zugang zum Unbewussten gedacht. Daher war es erwünscht, das Innere nach Außen kehren zu lassen. Das steht beim „Freewriting“ – so wie ich Elbow verstehe – überhaupt nicht im Vordergrund, sondern das freie Schreiben soll einerseits das Lockerwerden beim Schreiben und zweitens die Ideenentwicklung ermöglichen.

Und was passiert mit den Texten, die durch Freewriting entstehen?
Da kann ich nur aus meiner persönlichen Erfahrung antworten. Außer den freien Texten, die ich beim Tagebuch-Schreiben nutze und die demnach in einer Kladde festgehalten werden, hebe ich Freewriting-Texte eher selten auf. Ich vermeide es einfach, zuviele lose Blätter irgendwo herumliegen zu haben, die ich kein zweites Mal lese. Grundsätzlich leuchten mir Ideen wie das Führen eines Freewriting-Journals oder einer Kiste mit Freewriting-Texten durchaus ein. Ich mache es nur nie.

____________

* Peter Elbow (1998) Writing Without Teachers. Oxford University Press, Oxford/New York.

2 Gedanken zu “Freewriting

  1. Pingback: Biografisch oder doch nicht? | Schreiben als Therapie

  2. Pingback: Serielles Schreiben | Schreiben als Therapie

Hinterlasse einen Kommentar